Vom Meeresgrund bis in den Himmel
VR-JET Simulations in der Neuen Westfälischen
Der Unternehmer Jürgen Marx nutzt moderne Technik und erschafft eigene virtuelle Welten. In einer bietet er Simulationsflüge mit einem Jetflugzeug an. Ein NW-Mitarbeiter hat das Gerät getestet – und stieg nassgeschwitzt, aber glücklich wieder aus.
Von Torben Stallmann
Bünde/Melle. Es ist noch alles dunkel. Nur die leuchtenden Fahrbahnmarkierungen erhellen die Gegend des kleinen Flugplatzes mitten in der Wüste von Abu Dhabi. Mit dem Einschalten der Hilfsturbine leuchtet auch das Cockpit der F/A-18 Hornet, eines der modernsten Kampfflugzeuge der Welt.
Über einen kleinen Kopfhörer in meinem Ohr erschallt die Stimme von Jürgen Marx: „Gleich kannst du das rechte Triebwerk starten.“ Donnernd startet hinter mir eins der Triebwerke, die Vibrationen lassen mich angesichts der großen Kräfte in meinem Rücken erschaudern.
„Jetzt das linke Triebwerk“, heißt es über Funk. Die Maschine bebt. Ich bewege beide Schubhebel nach vorne. Das Flugzeug beschleunigt und die einzelnen Lichter der Fahrbahnmarkierung werden zu einem einzigen Strich. Kurze Zeit später merke ich, wie das Flugzeug selbstständig abhebt. Ich grinse über das ganze Gesicht. „Probier ein bisschen was aus und finde das Gefühl für die Maschine. Aber vor allem: Hab Spaß“, sagt Jürgen Marx zu mir.
Es gibt wohl nicht viele Fluglehrer, die eine Zivilperson nach einer 15-minütigen Einweisung einfach so mit einem Militärjet fliegen lassen. Das liegt wohl vor allem daran, dass das Flugzeug, in dem ich sitze, nicht echt ist. Jürgen Marx, der Unternehmer aus Melle, hat mit dem Flugsimulatoreine Idee zur Wirklichkeit werden lassen.
Unzählige Stunden für die möglichst perfekte Simulation
Die Grundlage seines Einfalls bildet ein detailgetreuer Cockpitnachbau einer F/A-18 „Hornet“ vom US-amerikanischen Hersteller McDonnell Douglas, der seit 1997 zu Boeing gehört. Der Clou: Statt großer Bildschirme, auf denen die Landschaft simuliert wird, nutzt Marx die neueste und modernste Technik für Virtuelle Realität, kurz VR. „Dadurch wirkt alles viel realer als mit Bildschirm und Kopfhörern“, erklärt der gelernte IT Techniker.
Die VR-Brille verfolgt jede Kopfbewegung des „Piloten“ und simuliert dazu die passenden Bilder. Auch das Cockpit wird genauso dargestellt. Unzählige Arbeitsstunden hat Jürgen Marx in das Projekt gesteckt. Jeder Knopf, jeder Schalter funktioniert genauso wie im Original. Jede Funktion hat der 50-Jährige mit hunderten Metern Kabel an die Simulationssoftware angeschlossen
Die Illusion endet nicht im Cockpit. Der Tüftler hat eine eigene Welt erschaffen. Sphärisches Licht beleuchtet die Wände des VR-Raums. Auf großen Bildschirmen werden Videosequenzen von der Erde und von entfernten Planeten projiziert. Mit viele Liebe zum Detail hat Marx eine Welt erschaffen, die einen den Alltag vergessen lässt. Dazu nutzt der IT-Techniker nicht nur in der Flugsimulation die Technik. In einem weiteren Bereich können die Gäste auf eine Entdeckungstour gehen. Beispielsweise in einem Riff mit bunten Fischen tauchen, einem Wal begegnen oder auf den Grund des Meeres sinken und dort die unterschiedlichen Meerestiere erforschen. Alles virtuell.
Vor etwa einem Jahr hatte Jürgen Marx die Idee für das Projekt. Nach einem Simulationsflug in einem A320 in Bremen. „Ich war selber so glücklich nach dem Flug – und sah die anderen ebenfalls strahlend aus dem Simulator kommen. Das fand ich einfach schön.“
Der Systemtechniker hatte vorher lange Jahre und erfolgreich – zusammen mit seiner Frau – einen Online-Handel für Schlafsysteme geführt. Doch hatte ihm nach eigener Aussage der direkte Kontakt zu Menschen gefehlt. Der Flugsimulator sei jetzt ein Projekt, mit dem er die Menschen zum Strahlen bringe. Schnell merkte Marx, welche Möglichkeiten in der VR Technik stecken – und erweiterte seine Flugsimulator-Idee um den Spiele- und Entdeckerraum. „Die Möglichkeiten sind fast unbegrenzt. Ich kann mich den Wünschen der Kunden anpassen“, sagt er. Der Simulator ziehe aber momentan die meisten Kunden an.
Schon viele echte Piloten haben das Angebot von Jürgen Marx angenommen. „Und die sind begeistert“, so der Tüftler. Viele seien schon das zweite Mal dort gewesen – darunter auch ein richtiger Jet-Pilot. „Die Piloten genießen es, völlig frei und ohne irgendwelche Vorschriften zu fliegen“, erzählt Jürgen Marx stolz. Die Simulation bietet die Möglichkeit, jegliche Manöver mit der Maschine nachzustellen. Auch Triebwerksausfälle oder Strömungsabbrüche. „Im Notfall kann immer der Schleudersitz ausgelöst werden“, erzählt der Unternehmer grinsend.
Zurück in den Simulator: Ich nutze die besagte Freiheit in der F/A 18- Hornet und teste meine Fähigkeiten. Ich lasse die Maschine immer weiter sinken. Unter mir funkelt das „Burj al Arab“, das berühmte Hotel in Form eines Segels, in der aufgehenden Sonne. Wenige Sekunden später fliege ich am imposanten Burj Khalifa, dem höchsten Turm der Welt, vorbei. Nur selten höre ich Jürgen Marx, der ein paar Fluginformationen von mir möchte. Den Rest der Zeit lässt er mich den einzigartigen Ausblick genießen.
Jürgen Marx hat selber keine Pilotenlizenz. Sein ganzes Wissen hat er sich autodidaktisch aus den originalen Handbüchern selbst beigebracht. Jeden Morgen eine Stunde Lernen im Bett. Viele Einstellungen kann Marx außerhalb des Cockpits für den Flieger übernehmen, so können sich auch absolute Novizen auf das reine Flugerlebnis konzentrieren. Erfahrene Piloten können hingegen jegliche Einstellungen selber übernehmen.
Ich drehe über einem Gebirgszug und fliege zurück. „Du machst das hervorragend. Probier mal eine Rolle“, schallt es aus dem Funkgerät. Ich spanne meinen rechten Oberschenkel an und schwenke den Steuerknüppel stark nach rechts. Ein unglaubliches Gefühl. Mit breitem Grinsen fange ich die Maschine in der Waagerechten ab. Solche Manöver seien der Grund,warum sich Marx für einen Kampfjet entschieden habe. „Die Möglichkeiten sind einfach viel größer als beispielsweise bei einem Airbus A320.“
»Zur Not schieße ich dich mit dem Schleudersitz raus«
Die Morgensonne ist jetzt in meinem Rücken. Der Schatten zeichnet meine Flugmanöver im Cockpit nach. „Flieg eine große Linkskurve über dem Platz. Und dann spiel mit dem Schub, damit du langsamer wirst.“ Ich folge den Anweisungen meines Instruktors und nähere mich dem Boden. „Bleib cool. Zur Not schieße ich dich mit dem Schleudersitz raus.“ Mein Ehrgeiz ist geweckt, wenige Minuten später setze ich tatsächlich auf und komme zum Stehen. Wahrscheinlich Anfängerglück.
Ich schalte die Triebwerke ab. Das Cockpit öffnet sich. Ich bin überwältigt von dem Flugerlebnis. Plötzlich verschwimmt die Wüstenlandschaft. Jürgen Marx nimmt mir die VR-Brille ab und ich bin regelrecht geschockt: Ich kann nicht fassen, dass ich mich gerade in einem Raum in Melle- Buer und nicht auf dem Flugplatz in Abu Dhabi befinde.Mit dem Aufsetzen der Brille taucht man in eine andere Welt. Konzentriert sich nur auf das Fliegen und hat Spaß. Mit dem Absetzen der Brille ist das wieder vorbei.
Das ist auch der Grund, warum Jürgen Marx Zeit, Geld und Arbeit in diese Illusion gesteckt hat. Seine virtuelle Welt lässt Menschen in eine andere, vielleicht fremde Welt, eintauchen. Spaß haben und den manchmal anstrengenden Alltag vergessen. Laien können selber fliegen, Profis ihre Fähigkeiten bis aufs Äußerste testen. Und Jürgen Marx endlich in strahlende Gesichter von Menschen blicken.
Quelle: Neue Westfälische, Ausgabe Samstag/Sonntag BD3 9./10. November 2019